Niederrhein, Winter 2020/2021
Niederrhein, Winter 2020/2021

Niederrhein, Winter 2020/2021

Umgeben von einem furchtbaren Lärmpegel, Autos, Sirenen, Flugzeuge, Schiffe, laufe ich im Kreis. Im Uhrzeigersinn. Meistens sind es 20.000 – manchmal auch 36.000 Schritte. Das sind dann zwei Runden um ein Naturschutzgebiet herum. Flaches Land. Und wenn der Rhein Hochwasser führt, versinkt dieses Land im Wasser. In diesem Naturschutzgebiet höre ich trotz des zivilisationsbedingten Dauerlärmpegel mehr Vögel als im Ural. Ich sehe hier auch mehr Vögel, viel mehr. Viele Gänse aus dem Norden bleiben hier am Rhein, während inzwischen die anderen über mir in Richtung Norden und Nordosten zurück fliegen. Den zauberhaften Gesang von Hunderten von Gänsen kenne ich und liebe das.  Doch hier höre ich wenig. Nirgendwo bietet sich die Möglichkeit, feine Geschehnisse wahrzunehmen. Das tausendfache Klingen von Tropfen, Schmelzwasser, das von Bäumen, Dächern tropft, wo jede Tonerzeugungsquelle ihren eigenen Groove und Klang hat, wie ich das lieben lernte im Ural, das ist hier nicht möglich. Direkt am Rhein ist es akustisch ähnlich wie beim Besuch einer Fabrik. Das machen die Motoren der Frachtschiffe mit ihrem Wummern, meistens um das „Große G“ herum, wieder etwa 25 Hertz dürften das sein. So ist es zwar schön, unter freiem Himmel zu sein, jedoch von Ruhe keine Spur.
Es bellen dort auch die Stimmen der Hundebesitzer, beigemischt zum Gekläffe ihrer vierbeinigen Kameraden. Immer wieder erinnere ich mich an Filme aus der Nazi-Ära, die ich im Ausland zu Gesicht und den Tonfall der als Deutsche dargestellten Protagonisten zu Ohre bekam. Es ist leider nicht von der Hand zu weisen, daß es den meisten deutschen Hundehaltern ein großes Anliegen ist, mit genervt-herrischem Kommandierton ihre Oberhoheit über das Tier zu dokumentieren und so den historischen Vorbidern aus irgendwelchen Nazikriegsfilmen nacheifern. Freilich sind sie sich dessen nicht bewußt. Doch ich kenne diese Art von Geschrei nur aus Mitteleuropa. So ruhig, geduldig und liebevoll wie meine Nachbarin in Lyubimovo mit dem Hund umgehen, das ist hier undenkbar. Ich tröste mich damit, daß die wenigsten Menschen überhaupt ihre Wohnungen verlassen, um unter Himmelslicht im Freien zu sein. Es wäre noch viel voller. Obwohl der Flugverkehr sehr abgenommen hat seit dieser Scheisse mit Corona, sind immer noch die Streifen am Himmel, welche es vor 20 Jahren einfach noch nicht gab. Nur ganz zu Beginn, im März und April 2020 war der Himmel wie in meiner Kindheit und Jugend, blau, rein, wunderschön. Das ging grad mal zwei Wochen, dann war es wie sonst die letzten ca 20 Jahre. Sehr schön ist dieses Naturschutzgebiet, die Bäume, überwiegend große bis riesige Weiden, die stehen, fallen um, brechen ab, treiben wieder neu aus und dieses System einer natürlichen Unordnung hilft mir, diesen ungewollten Zustand, in dem ich mich befinde, leichter zu ertragen. Oft begegnen mir Menschen auf Fahrrädern oder zu Fuss oder alte Leute mit Rollatoren, die haben selbst hier draußen ihre Masken auf. Ich weiß immer noch nicht, ob diese Menschen mir Leid tun wegen ihrer Angst, die von der Presse, Fernsehen und Politik so grausam geschürt wird oder ob ich die zutiefst verachte wegen ihrer Untertanenhaltung und dem gleichzeitigen Hochmut vor dem Universum, indem sie meinen, ihren Todeszeitpunkt durch das Tragen einer solchen Maske irgendwie beeinflussen zu können. Immerhin sind sie das, die dem gegenwärtigen System dadurch Fortbestand sichern. So schwankt mein Gefühl beim Anblick dieser zahlreichen erbärmlichen bzw erbarmungswürdigen Kreaturen zwischen Mitgefühl und einer Lust, ihnen in die maskierte Fresse zu schlagen. Ich hatte bisher noch keine Maske auf. Das konnte ich allerdings nur, da freundliche Menschen für mich mit einkaufen und mir Sachen bringen. Ich dürfte hier gar nicht mehr in die Innenstadt, ins Zentrum. Ich kann nicht mehr Bahn oder Bus fahren, zu keinem Arzt oder Administration mehr gehen. So bin ich nun in dem Land, in welchem ich geboren wurde, wie ein Flüchtling unterwegs. Und was mir in dieser Situation wirklich extrem viel ausmacht, mich richtig traurig macht, daß es in Russland zwar entspannter zugeht, jedoch unter den gleichen Vorzeichen, einem weltweiten Versuch oder Anschlag auf die Freiheitsrechte der Menschen. Solange Maskenzwang, Test und Impfverpflichtung existieren, kann und werde ich wohl nicht mehr nach Russland zurück können.
Wenn ich das gewußt hätte, was in Deutschland auf mich zukommen würde, dann hätte ich im März vor einem Jahr meinen Nachbarn in Lyubimovo gebeten, daß er mit seinem Auto über meinen Fuß fährt, um den Knöchel zu brechen. Damit hätte ich wohl verhindern können, aus dem Ural, aus Russland ausreisen zu müssen. 
Die Mutter meiner Freundin, achzigjährig, kommt sehr krank in die Klinik. Das ist unmittelbar vor Weihnachten. Ohne Maske und ohne Test darf sie nicht besucht werden. Irgendwann stirbt sie, ist klinisch tot, wird reanimiert, wobei Rippen brechen. Immerhin hat man ihre Tochter, meine Freundin, in diesem Moment zu ihr durchgelassen, ohne weitere Schikanen, ein Akt großer Menschenfreundlichkeit in dieser Zeit, ein Jahr davor eine Selbstverständlichkeit. Als sie wieder etwas besser beieinander ist, schleppt sie sich zum Fenster, wir stehen unten auf dem Rasen vor ihrem Fenster und winken uns zu. Was für ein Alptraum. Meinem Freund Uwe war es nicht vergönnt, zu seiner sterbenden Mutter vorzudringen, da gab es keinen Abschied,

18.19. August 2021
Ich habe ein Visum und fliege nach Russland. Ich brauche dafür einen Test. Scheisse. Doch ich tue es. Ich gehe in Benrath in ein Testzentrum und lasse mich testen. Doch am Flugplatz tags darauf erklärt mir die Aeroflot-Frau, daß ich einen anderen Test brauche, das muss ein PCR-Test sein. Ich stehe etwas ratlos da. Sie hat eine Lösung parat. Im Untergeschoss könne ich binnen 40 Minuten und schlappen 250.-€ einen solchen machen lassen. Also mache ich das. Obwohl ich gesund bin, es war ein Scheißgefühl, schließlich haben auch Coca-Cola, Ziegen, Papayas ein positives Testergebnis bekommen. Doch es klappt. Im Flieger drakonische Ankündigungen durch den Lautsprecher: Die Besatzung des Fliegers habe das Recht, jeden, der es wagen würde, sich dieses Lappens zu entledigen, zu photografieren und der gerechten Strafe zu überantworten, die von der Polizei und dem Staat durchgesetzt würde. Nur, wenn man einen Schluck trinken würde oder solange man am Essen sei, dürfte man die kurz runternehmen. Also mümmele ich an meinem Tee und dann noch einem, bis wir in St. Petersburg ankommen. Dort allerdings sind dort ganz viele Leute gänzlich ohne die Maske unterwegs, im Flughafen. Die Polizei hat ihre Gesichtswindeln lässig unter die Nase gezogen. Bei dem Flug nach Perm fragt schon keiner mehr und fast alle haben keine Maske oder diese unten am Kinn oder unter der Nase.
Eine schöne, wunderschöne Geste:
Mein Freund Boris Milgram schickt den Fahrer des Theaters zum Flugplatz, damit dieser mich einsammeln kann, früh um 04:30.

Irgendwann fiel mir in Deutschland auf: Wenn ich versuche in Ruhe zu gehen, in Dämmerung irgendwo liegend, daß, egal ob die Augen geschlossen oder offen sind, vor meinem geistigen Auge unablässig kurze Filmfetzen, Sequenzen erscheinen. Die sind meist nur einen Wimpernschlag lang, in grobkörnigem Schwarzweiß oder irgendwie leicht getönt und diese Filmfetzen überlagern sich, es können auch mehrere gleichzeitig laufen. Mit diesen Filmen habe ich selber nichts zu tun, ich habe sie weder eingeladen noch beziehen diese sich auf mich oder mein Leben. Das ist gewissermassen die Visualisierung des Geplappers und Gequatsches im Kopf, gegen das ich mich mit Atemübungen recht gut zu wehren weiß. Die Filme bekomme ich nicht mehr weggeatmet.  Gleichzeitig habe ich ganz stark die Fähigkeit eingebüßt, mir irgendwelche geometrische Körper wie Kugel, Quader, Pyramide, Zylinder etc in einer von mir bewußt gewünschten Farbe vorzustellen.
Im Ural konnte ich so eine Imagination tatsächlich über eine recht lange Zeit aufrechterhalten. Recht lange Zeit, das könnten zehn Schritte im Schnee sein, vielleicht sechs oder sieben Sekunden lang.
In Deutschland hat sich das reduziert auf die Kürze dieser ungewollten Filmchen, die ich sehen muss.
Ich bin nun zurück, Gottseidank, im Ural. Es hat keine drei Tage gedauert, die Filmsequenzen haben aufgehört, durch meine Sinne zu ziehen und die Imaginationsfähigkeit für oben beschriebene Körper nimmt wieder deutlich zu. Das Hirngeplapper ist sehr leise.

02. September

Um ein Dreijahresvisum zu bekommen, brauche ich einen Pass, der deutlich über die Visumsdauer hinaus gültig ist. Deshalb habe ich einen Termin mit dem deutschen Generalkonsulat in Jekaterinburg vereinbart, um einen neuen Reisepass zu beantragen oder eine Verlängerung. Um diesen Termin überhaupt zu bekommen, musste ich eine Geburtsurkunde aus Deutschland beibringen. Um diese Geburtsurkunde zu bekommen, musste ich einen Scan meines Reisepasses nach Deutschland schicken. Das hat funktioniert. Und das von Lyubimovo aus, es war gar nicht einfach, ich lebe ja dort in einem Telefon-Funk-Loch. Doch frage ich mich, ob diese Leute sich nicht anders eine Lebensberechtigung erwerben könnten als mit so einer schwachsinnigen Scheisse.
Als tunesischer Krimineller reicht es, den Pass wegzuschmeissen und schon bist Du drin im besten Deutschland aller Zeiten. Es war also heute dieser Termin. Die Fahrt und die Landschaft zwischen Perm und Jekaterinburg ist unglaublich schön, vierhundert Kilometer Wald, Wald, Wald, Ural halt.

Dann bin ich im Konsulat, 28. Stock. Maskenpflicht wie in Deutschland.
Ich werde in ein winziges Kabuff verbracht, kaum vier Quadratmeter groß. Wären da nicht einige Zierelemente in Form unterschiedlich großer Löcher in den Wandpaneelen, könnte man auch meinen, in einem Verhörraum der Gestapo oder Stasi zu sitzen, in einem besetzten Land von Feinden deutschen Bewußtseins. Vor mir eine Panzerglasscheibe, ein Mikrophon und ein Lautsprecher, der eher ein Grellkrächzer ist. Auf der anderen Seite der Scheibe sitzt eine Frau mit Maske, korrekt, wie es in Deutschland zugeht, über Nase und Mund. Eine andere Welt. Draußen, im Bahnhof, im Zug, den Geschäften haben 2/3 der Leute überhaupt keine auf. Hier in Russland kann das jeder gemäß seines persönlichen Empfindens oder Panikpotentials praktizieren. Selbst die Polizisten ziehen die Masken unter das Kinn.
Nach einigem hin und her mit einer freundlichen deutschsprechenden Russin holt diese die Vorgesetzte. Durch die Scheibe und trotz Maske erkenne ich sofort: eine funktionalhumanoide „richtige Deutsche“ eher jung, widerlich, ekelhaft, die personifizierte Hässlichkeit Deutschlands. Eine Aura wie eine KZ-Aufseherin. Sie habe das Recht, mir diesen Zweitpass zu verweigern, mümpfelt sie durch ihre Maske. Also wird das nichts mit dem Dreijahresvisum, ich komme knapp noch raus, bevor ich ihr meine Meinung über sie und den Vorgang kundtue. Ich habe schon lange nicht mehr so eine Wut gehabt wie beim Verlassen dieses Büros. Ich bin für diese Aktion über 800 Kilometer im Zug unterwegs, dazu 250 Kilometer Bus etc aus Lyubimovo zum Permer Bahnhof.
Dabei habe ich gleich nach der Ankunft in dieser Stadt ein heiteres Erlebnis gehabt. Sofort fiel ich einem Reporterteam auf, die neben mir herlaufend, mich befragten und Photos und Film aufnahmen. Mal schauen, ob ich noch was davon zu sehen bekomme…. 


Jekaterinburg gefällt mir nicht.

Ich will keinesfalls zurück nach Deutschland. Das ist nicht mehr mein Land. Auch wenn ich ein paar gute Freunde habe, auf die ich mich genauso verlassen kann wie diese sich auf mich. Auslöser sind nicht nur die absurden Ereignisse um die Makenpflicht hier und da. Ich habe 18 Monate lang keinen Bus/Zug benutzt und erstmals an meinem Geburtstag eine Maske aufgezogen, um etwas zum Essen einkaufen zu können. Ich habe eine Geschichte miterlebt:
Ein 83 Jähriger Mann, geimpft, liegt im Sterben, das ist definitiv. Er hat in Frieden mit dem Leben abgeschlossen, er liegt daheim auf dem Sterbebett.
Seine Ehefrau, achzigjährig, ist ebenfalls geimpft. So sollte man meinen. alles sei nun sicher. Doch die beiden noch lebenden Schwestern des Sterbenden läßt die Ehefrau trotzdem nur zu diesem, wenn diese auch geimpft sind. Die eine kann sich deshalb nach acht Jahrzehnten nicht von ihrem Bruder verabschieden, trotz ihres Angebotes, sich eine Maske überzuziehen. Sie will sich nicht impfen lassen. Also wird ihr der Besuch am Sterbebett verweigert. Die andere läßt sich impfen, um zu ihrem Bruder vordringen zu können. Ab hier wird es mir zu viel- eiseskalt wird es mir am Herzen. Ich habe da nichts mehr zu suchen, wenngleich ich dort viel verloren habe. So hat sich Deutschland seit Beginn dieser Grippevariante in ein angsterfülltes ekelhaftes Eldorado für Blockwarte und Endzeitlemminge entwickelt und die wenigen, die diesen Irrsinn nicht mitmachen, sind gefährdet, kaserniert, eingesperrt oder sonstwie staatssicherheitstechnisch behandelt oder eliminiert zu werden. Während ich das gerade schreibe, sitze ich in einem sauberen und auf die Minute pünktichen Zug, der mich nach Perm zurückbringt. Auch in Russland herrscht Maskenpflicht. Doch das sieht hier anders aus. Zwei Drittel laufen oder sitzen ohne diese Gesichtswindel rum, egal, ob im Bus, der Bahn, den Geschäften. Ich muss auch erst wieder lernen, die Maskenträger als ängstliche Mitmenschen zu sehen und nicht, wie in Deutschland, als die Beförderer einer Diktatur, mitmachen, mitheulen. Wird man manipulativ bestrahlt? Kann man so blöde sein?

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