Nachdem ich nun im Haus des sehr freundlichen und großzügigen Theaterdirektors wohnte, das bezieht sich auf etwa vier Monate, bekam ich die Stromrechnung präsentiert. Ich hatte ihm vorher gesagt, daß ich nicht auf seine Kosten leben möchte und deshalb die Unkosten, welche entstehen, selbstverständlich übernehmen werde. Ich hatte die Elektroheizungen im Haus nicht auf „volle Kraft“ gestellt. Ich mag sowieso keine Stromheizungen. Vor allem nicht, nachdem mich die erste Rechnung am Ende des November schon etwas schockiert hatte, denn trotz der unglaublich niedrigen Preise hier pro Kilowattstunde bezahlte ich etwa 15 000.- Rubel, das sind nach dem Kurs, zu dem ich wechselte, etwa 330.- Euro. Also zog ich, mit der Absicht, mehr einzusparen, von dem Terrassenzimmer mit der superschönen Aussicht um in die Küche und drehte die Heizung auf minimum. Leider sah ich ab da auch meine Vögelein und Eichhörnchen nicht mehr. Saß dann bei gemessenen 10,2° in meinem wunderbaren second-hand Pelzmantel in der Küche und komponierte an meiner Musik weiter. Dann ging es wie Schlag-auf-Schlag: Vor zwei Wochen kam eine neue Rechnung über 20 000 Rubel.
Das hat mich dann veranlasst, über Alternativen nachzudenken. Letzten Sonntag, vor drei Tagen, kam eine weitere Rechnung über nochmals 15 000.- Rubel. Ich habe also für ein scheißkaltes Haus nun über 1.200.-€ Strom bezahlt. Eigentlich wollte ich Geld sparen, damit mein Projekt in Lyubimovo vorankommt, puuuuh!!
Das ist halt ein Sommerhaus mit großen Fenstern, hohen Räumen und beschissener Heizung.
Ich habe ja vorher im Hause eines Pascha bereits drei Winter hier im Wald ge- und überlebt, unter wunderschönen, gleichwohl sehr archaischen Bedingungen, etwas, wovon deutsche Survival-Video-Konsumenten begeistert sein dürften: Wasser vom Bach holen, Plumpsklo draußen und einem Ofen, der nach etwa vier bis fünf Stunden ausgeht, das ist kein Kachelofen und auch kein Kaminofen, sondern eine eiserne Tonne, die horizontal auf dem Boden liegt, mehr oder weniger. Man nennt die Dinger hier „Holzfresser“, denn sie haben großen Hunger. Doch es wird schnell warm. Der arme Pascha. Im letzten Frühjahr starb seine lange Jahre schwerkranke und bettlägerige Mutter, die er in der kleinen Stadt Ochansk pflegte und versorgte und Pascha war nun „frei“, konnte selber endlich wieder nach Lyubimovo zurückgehen. Viel Zeit hatte er nicht, er verstarb vor kurzem. Grad mal 57 Jahre alt. Ich kann nun hier den Rest des Winters verbringen. Ohne den Pascha hätte es Lyubimovo nicht gegeben, das wird sein Vermächtnis bleiben und die Nachbarn dankten es ihm damit, daß sie den kleinen See neben dem Haus als „Paschas See“ in Google registrierten, soweit ich verstand. Ich bin gestern mittag hier in Lyubimovo angekommen. Tatsächlich haben mich sofort wieder Heimatgefühle besucht, als ich von der Hauptstrasse abbog, in die kleine, die dorthin führt.
Es wartet hier eine riesig lange Liste von Dingen, die zu tun sind, um das Haus etwas bewohnbarer zu machen, als es bei meiner Ankunft war. Für jedes Fenster gibt es einen zweiten Rahmen, so werden das Doppelverglasungen und es dringt weniger Kaltluft durch die Ritzen und die Wärme bleibt besser im Haus. Ich werde das Haus außenrum bis über die Fußbodenebene der Innenräume mit Schnee eingraben. So ist es besser windisoliert, man sieht nämlich durch die Ritzen des Fußbodens abends die Sonnenstrahlen.
Denn bei -40° wird das ungemütlich an den Füßen. Vor vier Wochen waren hier -41°…Noch habe ich den Weg zum Wasserholen nicht komplett freigeschaufelt, der Weg ist lang, der Schnee schwer und tief. Mein Versuch, über den See, „Paschas See“, zur Wasserstelle zu kommen, der scheiterte daran, daß ich die Stelle nicht fand, es liegt zu viel Schnee. Also grub ich mich auf dem traditionellen Weg voran. So fand ich im Abendlicht die richtige Stelle. Doch offensichtlich ist diese Art von Brücke über der Wasserstelle nicht mehr intakt. Ich stand also auf einmal mit einem meiner Walenki-Filzstiefel zwischen zweien dieser Bretter im Wasser, nachdem es schnell und unerwartet nach unten ging. Bis ich daheim war, war auch der Socken innen schon patschnaß und der Schnee außendran blieb in einem riesigen und schweren Klumpen hängen. Gut, daß es heute mild war, nur -12° und der Weg nach Hause nur zwei- oder dreihundert Meter lang. Ich habe also bis morgen weiterhin Schmelzwasser aus dem reichlich herumliegenden Schnee zur Verfügung.
Doch es ist hier ein ganz anderes Leben. Die Luft ist wunderbar, der Wald steht schwarz und schweiget und der Vollmond tauchte gestern nacht die Welt in ein silber-gold-blaues Licht. Mein Nachbar Aleksej hatte für mein Auto einen Parkplatz freigegraben, was für eine schöne Begrüßung. Mir tut heute alles weh von dem Schneeschaufeln, denn das waren schon riesige Mengen, die ich bewegt habe, und endlich mal ist mir auch warm, warm genug, im T-Shirt im Haus zu sitzen. Trotz der gestrigen Schaufelei und Schlepperei schlief ich schlecht oder war oft wach und mir ging ein absurdes Gedankengespenst durch den Kopf:
In Europa wird man ja nun anfangen, Insekten und Würmer zu fressen. Weiterhin schämt man sich ja der Vergangenheit, der Vernichtung der Juden. (Russen scheinen ja egal zu sein) Achja, der Schwulen auch und der Zigeuner. Es wird ein Handel getrieben werden, so ging es durch meinen schlaflos-wirren Kopf, um den eigenen, den Privatanteil an der deutschen Kollektivschuld auf ein Maß zu drücken, welches einem ein weiterhin einigermaßen unbeschwertes Leben erlaubt: Man wird Ablaß-Hostien kaufen können, die mit einem hohen Anteil an Filzläusen, welche gezüchtet wurden auf jungfräulichen Westasiat*innen, angereichert sind, für einen exorbitanten Preis. Der Hauptanteil geht an ein Spendenkonto in Israel, der zweite Anteil ist für Waffen zur Verteidigung von Demokratie und Freiheit, wie sie von den Staatslenkern Deutschlands und den niemals gewählten Figuren des europäischen Parlaments verstanden und interpretiert wird. Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele weg vom Himmler springt. Die Unterschicht wird klaglos Asseln knabbern.
Lieber Herr Burger, das ist ein schöner Text, danke dafür. Mit Ihrem Sein dort bei den Russen leisten Sie Friedensarbeit!
Herzliche Grüße aus Dresden, Siegfried Hille.
ich danke Ihnen sehr! Herzliche Grüße aus dem tiefgefrorenen Ural