Ich bin nun in mein „Sommerhaus“ umgezogen. Das war vor etwa einer Woche. Das Leben ist nun ein anderes. In Paschas Haus konnte ich es warm machen, da war dieser eiserne Holzfresser, wie die Öfen genannt werden und der fraß Holz und machte schön warm. Das ist im Sommerhaus nicht möglich. Es zieht der Wind durch alle Ritzen, Schlitze und Löcher und ich bin den Temperaturen, welche gerade herrschen, ausgeliefert. Bei nächtens um den Gefrierpunkt freue ich mich am morgen dann sehr, wenn die Sonne aufgeht und mich erwärmt. Abends gibt es hier kein gemütliches Am-Ofen-Sitzen. Ich gehe, wenn es dunkel wird, ins Bett. Seit Wochen weht durchgehend starker Wind, tagsüber bei +28° erfreulich, nachts bei 0° grauenvoll.
Gestern war ein Blütentag, so zeigte es der Mondkalender an. Ich badete die 121 Samen von weißen Lupinen, die ich geschenkt bekam, bereits vorgestern in wachstumsförderlichem Sud, mit dem obligaten Bergkristall drin und machte gestern dann entlang meiner Grundstücksgrenze alle 70 bis 80 Zentimeter ein kleines Loch in die Erde, für jeden Samen eines. Während ich diese Löcher in die Erde bohrte, bis ich überhaupt bis zur Erde vorgedrungen war, fiel mir auf, daß es hier überhaupt keine definierbare Grenze zwischen dem alten, vertrocknenden, verrottenden Material und der Erde gibt. „Wie lang ist die Küste von England?“ das war die Einstiegsfrage in die Chaos-Theorie. Wann ist der Dreck kein Todesmaterial mehr sondern Humus? Die Interferenz zweier benachbarter Obertöne in einer sehr sehr hohen Oktavierung liegt im Unendlichen. So kam es mir wieder mal in den Sinn, daß alle unsere Wahrnehmungen und das daraus erfolgte Denken und Handeln einzig eine Frage des „Zoom“ ist.
So mag es dann durchaus geschehen, daß ein toleranter veganistischer Gut- bis Bestmensch in Mitteleuropa gerade im Schluchzen ob seiner moralischen Qualitäten begriffen, einen tiefen Schluck aus dem Hafermilch-Tetrapack nimmt. Die Hafermilch ist leicht angewärmt, sie stand auf dem Tisch im Sonnenlicht. Nun hat der vegane Gutmensch oder die vegane GutmenschIn mit diesem einen Schluck mehr Leben ausgelöscht als Europa Menschen beherbergt. Einzeller, Pantoffeltierchen und so Gewimmel, das vom Menschenauge nicht gesehen werden kann.
Da gilt es drauf zu schauen, was das sagt, wenn alles nur eine Frage des Zoom ist.
Da ich keinerlei Ahnung vom Hausbau hier habe, bin ich auf Hilfe angewiesen. Was für ein Glück. Letzten Herbst zog eine Familie nach Lyubimovo. Ich denke, sie kamen vom Baikalsee, aus jeden Fall aus Sibirien und von genauso weit her wie ich, um hier zu leben. Der Vater, Aleksandr, ist Bauingenieur und er hilft mir, mein anderer Nachbar Aleksej auch.
Aleksej und Aleksandr
So werden die beiden das mehr oder weniger in die Hand nehmen. Das Grundstück wurde vom Kathastermann vermessen, es gibt Markierungen der Grenze. Morgen kommt der große Lastwagen mit dem Brunnenbohrgerät drauf und der wird ein Loch bohren, das wird meine Wasserversorgung werden.
Der Aleksandr hat eine Frau und vier Kinder. Das war so bis zum 30 April. Jetzt sind es fünf Kinder. Was für ein Unterschied zur westlichen Wertewelt, anstatt als „Notfall“ mit Blaulicht ins Krankenhaus zur Entbindung zu rasen:
Alle waren zusammen in dem einen einzigen Raum, in dem auch alle leben und schlafen. Dort wurde das neue Kind während der Geburt mit Liedern, die alle zusammen sangen, keine Hebamme, kein Arzt dabei, begrüßt.
Das ist eine der schönen Sachen in Russland, man kann auch mal „fünfe grad sein lassen“……