2020
2020

2020

 Ich musste am 18. März aus der Taiga weg. Mein Visum lief ab. Und ich hatte bereits ein DreijahresVisum in Auftrag gegeben und bereits bezahlt. Zeitgleich stieg weltweit die Angst vor einer weltumspannenden tödlichen Seuche. Ein dunkle Ahnung trieb mich an meinem letzten Tag in Russland zusammen mit Tatjana, meiner Dolmetscherin, zu der Behörde, die die Aufenthaltserlaubnis und ähnliche Aspekte verwaltet. Ich sagte zu der Frau, die dort am Schreibtisch saß, daß ich nicht nach Deutschland zurückmöchte, ich würde um mein Leben fürchten und ich möchte in Russland bleiben. Sie schnauzte verächtlich, sie wäre jetzt lieber in Paris, doch es geht halt nicht und dann war mein Fall abgehakt. Interessant war, daß mir die Dolmetscherin erzählte, hinterher, daß diese Frau mal eine Schülerin von ihr gewesen sei und daß diese Behördenfrau abends nochmals bei ihr angerufen habe, um ihre Hilfe anzubieten. Doch das war nun schon zu spät. Ich holte an meinem letzten Tag in Perm mein Buch „Lyubov-Liebe“ aus der Druckerei, liess diese zwei schweren Tüten voll mit Büchern bei der wunderbaren Töpferlena und ihren Mann Lyosch und flog nach Deutschland zurück. Das Flugzeug von Moskau nach München war beinahe leer. Die Eisenbahn von München nach Regensburg noch viel leerer. Ich komme in ein Land in Angststarre.

In der Nähe von Regensburg habe ich in einem kleinen schrecklichen Dorf namens „Loch“ ein Zimmer gemietet. Die Vermieterin allerdings hat so eine Angst vor einer Ansteckung, daß sie den Raum verläßt, wenn ich reinkomme. Dort will ich nicht bleiben und so reise ich zu meiner Freundin Claudia nach Düsseldorf. Sehr bald habe ich dort die wenigen anfallenden physischorientierten Arbeiten in dem extrem gepflegten Garten gemacht. Mir fehlt die Ruhe, der Wald, die Natur. Unweit von Claudias Haus ist ein Krankenhaus und so ist der Tag angefüllt mit Sirenenlärm der Ambulanzautos, welche am Haus vorbeikommen. Die einzige Möglichkeit, etwas „Natur“ zu erspüren, ist ein Weg um ein Naturschutzgebiet, Rheinauen, Altwasser, Schilf, viele Wasservögel. Doch diese Gegend von Düsseldorf ist so extrem dichtbesiedelt, daß das kein wirkliches Naturerleben ist, sondern im Strome der anderen Leute mittreiben. Ich jammere über meine Situation bei einer Freundin. Diese empfiehlt mir, mich an den obengenannten Beuerhof zu wenden, denn durch den „Lockdown“ würde dieser Hof sich in einer ökonomischen Krise befinden und Hilfe benötigen. Ich kontaktiere die Leitung des Beuerhofes und am 13. Mai fahre ich dort mit einem Koffer hin, um zu bleiben. Der Herr des Beuerhofes ist Dieter Scholz. Ein bemerkenswert wacher und vitaler Mann, von dem man kaum glauben mag, das er schon 82 Jahre alt ist. Der Beuerhof als Seminarzentrum, laut Prospekt angefüllt mit spirituellem und indigenem Bewusstsein, das ist sein Lebenswerk. Ich bin froh, daß ich an so einem schönen Platz bleiben kann und biete meine Arbeitskraft, meine Liebe und meinen Idealismus an, um dem Platz ein Weiterleben zu ermöglichen. Die Bedingung für ein Bleiben besteht in einem täglichen Obulus von 10€ für die durch mich entstehenden Unkosten, das gemeinsame Essen ist in diesem Preis enthalten. Der Hausherr, Dieter, weist mir ein winziges dunkles Zimmerchen zu, welches seine Tür zum zentralen Platz hin gelegen hat. Eiskalt. Es sind gerade die Eisheiligen, das Wasser im Brunnen vor meiner Türe hat in der Früh eine Eisschicht, ich habe in zwei ersten Nächten mehr gefroren als in der ganzen Zeit im Winter im Ural. In der dritten Nacht erwache ich durch einen tiefen dröhnenden Ton. Auf ca 25 Hertz schwingt die gesamte Luft des Zimmerchens, angeregt von einem Generator, der etwa 50 Meter entfernt für die Stromversorgung des Beuerhofes läuft.

An Schlafen ist nicht mehr zu denken. Gleichzeitig steht der Wind ungünstig genug, daß die Abgase dieses Generators sich in einem Eckwirbel vor meiner Türe verfangen und die Luft an die Luft vom Busbahnhof von Perm oder Turin erinnert. Na gut, tröste ich mich, das ist ja nur sporadisch, der Lärm und Gestank, welcher das schöne Gelände nun überzieht. Ich bitte um eine andere Schlafmöglichkeit, denn in diesem sogenannten Brunnenzimmer ist so an Ruhe und Erholung nach langen Arbeitstagen nicht zu denken. Ich bekomme ein anderes dunkles Loch zugewiesen, in welchem zwei Stockbetten und ein Einzelbett Platz finden, jedoch kein Tisch oder Stuhl. Dort bleibe ich für einige Wochen. Sehr bekümmert mich, daß das Internet unglaublich langsam läuft und ich mehr und mehr den Kontakt zur Aussenwelt verliere.

Meine Tage vergehen mit teilweise sehr harter und anstrengender Arbeit. So sägten wir zu zweit an einem Wochenende etwa 25 tote Fichtenbäume, die dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen waren, ab. Das waren dicke Stämme und etwa 25 Meter hoch. Die umgesägten Bäume, das alles geschah in teilweise ungünstigem Gelände, steil abfallend, zogen wir mit einem alten Traktor hoch, entasteten die Fichten und zerschnitten die Stämme in 100cm und in 50cm Stücke. Mit diesem Holz sollen die Steine für die Schwitzhüttenzeremonien zum Glühen gebracht werden. Ich weiß nicht, wieviele Anhänger wir mit dem fertigen Holz beladen wegfuhren, es waren jedoch sehr viele.

Es gibt einen eklatanten Mangel an Wohnmöglichkeit für die dort helfenden Menschen. Die Zimmer und Wohnungen, welche noch in einigermaßen gutem Zustand befindlich sind, sind für den Seminarbetrieb gedacht und nicht für die Helfenden. Ich werde deshalb gebeten, aus einem alten, schrecklich häßlichen und übel stinkenden Wohnwagen aus den frühen Siebzigern des letzten Jahrhunderts etwas zum Wohnen zu machen. So beginne ich, neben den täglichen Verpflichtungen, welche ich übernommen habe, auch noch, diesen Wohnwagen in einem alchemistischen Prozess mit Liebe, Zeit und unkonventionellen Ideen in etwas „Schönes“ zu verwandeln. Vor lauter Arbeit von früh bis spät fällt mir eigentlich kaum auf, daß ich keine Musik mehr mache, nicht mehr Fahrrad fahre und keine Kontakte nach aussen pflege, was bei diesem Internet sowieso sehr sehr schwierig sich gestaltet.

Der Herr des Beuerhofes, Dieter, beruft sich auf die Tradition der Lakota-Indianer, er habe von denen eine Pfeife bekommen, er sei ein Pfeifenträger der Lakota. Das legitimiert ihn, Schwitzhütten als spirituelle Dienstleistung anzubieten. So kommen einmal im Monat etwa zwei Dutzend Menschen zusammen und bezahlen für zwei Tage fast 200.-€ pro Person, um an diesem spirituellen Ereignis teilzunehmen. Und alles Geld fließt laut Dieter eben wieder in den Erhalt des Beuerhofes. Und da es dem Dieter aufgrund seines hohen Alters langsam zu viel werde, den Beuerhof zu verwalten und aufrecht zu halten, sucht er schon seit längerem verantwortungsbewußte Menschen, welche sein indigenes Lebenswerk mit wirtschaftlichem Erfolg weiter in seinem Sinne betreiben. So taucht also, nachdem die ersten Anwärter der Prüfung durch Dieter nicht standhielten, als Option ein Mensch auf, den ich hier „Zwackl“ nenne. Zwackl hatte vor Corona eine gutlaufende Firma für Großveranstaltungstechnik. Und Zwackl ist mit seinen 52 Jahren frischverliebt in eine Buchautorin über Veganismus und nun zum Veganer konvertiert. Mir werden die gemeinsamen Mahlzeiten immer mehr eine Pflichtübung, denn gesprochen wird nur noch über das vegane Leben und die Niedrigkeit der Nichtveganer. Hier, liebe Russen, liegt nun wirklich eine Entsetzlichkeit des „deutschen Wesens“: Wenn ein Deutscher glaubt, er sei nun im Besitze der Wahrheit, so scheint es ihm ein beinahe religiöses Anliegen zu sein, seine Umwelt mit diesen Erkenntnissen zu beglücken, ihm sein eigenes Erkenntnisglück möglichst nahe zu bringen. Der Zwackl hat dann folgende Idee: Der gemeinsame Kühlschrank wird nun auf „vegan“ umstrukturiert. Die beiden oberen Fächer erhalten ein kleines Schildchen mit der Aufschrift: „Nur vegan“. Dann kommen drei weitere Fächer unten drunter. Diese werden beschriftet:“Nur vegetarisch“. In die Kühlschranktüre kommt ein Schild: „Ausnahme-nur Hunde- und Katzenfutter“
Ich soll also meine Dose mit Sprotten aus diesem Kühlschrank nehmen und irgendwo anders mein niedrigschwingendes Treiben fortsetzen. In der Zwischenzeit stelle ich an mir schon gewisse Ermüdungserscheinungen fest. Ich arbeite von Sonnenaufgang bis -Untergang, beim Essen sitze ich mit teilweise 10 bis 12 Menschen, die ich teilweise noch nie gesehen habe und die mich überhaupt nicht interessieren und höre mir typisch deutsches Gutmenschengeschwätz über Veganismus, die Neue Zeit etc an, alles Zeug, welches mich bewogen hatte, die Flucht aus Deutschland zu ergreifen. Form statt Inhalt. Gutgemeintes Belehren. Leise Tadel.

Die lauten Tadel kommen von Dieter. Diesem als Herrn des Beuerhofes gefällt es immer wieder und immer öfter, mich oder einen anderen der Helfenden vor der versammelten Belegschaft, Gäste und Mitarbeiter, Besucher , wegen irgendwelcher Dinge zu beschuldigen. So habe ich, als kleines Beispiel, bei der Reparatur des kleinen Teiches wohl die neue Teichfolie unsensiblerweise mit einem Stein durchlöchert, jedenfalls behauptet das der Dieter…… Ich denke mir, das könne ja wohl nicht sein, denn ich lauf seit 38 Jahren barfuss und ich weiß, was ich wie tue. Schöpfe den Teich wieder aus, lege die Steine wieder auf einen Haufen und sehe auch schon das Loch in dieser Folie, welches laut Dieter von mir stamme. Dann sehe ich noch weitere Löcher und Löchlein…… Diese Teichfolie war in ihrem Vorleben schon mal als Regenschutz irgendwo draufgetackert gewesen, in regelmäßigen Abständen sieht man die Löcher. Zurück bleibt im öffentlichen Raum die Anschuldigung des Dieter, die wird dann auch nicht revidiert, das bleibt. Es scheint auch wichtig zu sein, um die Leute klein und demütig zu halten. Nach gut zwei Monaten gibt der Zwackl auf, das wird nicht sein Hof. Er reist ab, ich bin erleichtert. Der Strukturierungswahn ist beendet. Allerdings nur kurz.
Nun tauchen vier Frauen auf, die einem schamanoiden Frauenkreis aus Köln entstammen und die durch einen Schwitzhüttenbesuch spirituell angeregt und als erfolgreiche Kneipenbesitzer sich zutrauen, den finanziell angeschlagenen Beuerhof in eine neue Zeit zu geleiten. Wieder neue Leute, neben den Freunden und den Angehörigen der neuen Leute, die ja alle auch den schönen und wunderbaren Beuerhof sehen müssen. Zwischendrin die Helfer. Wir sitzen dabei wie der Viehbestand eines Bauernhofes. Man präsentiert uns und wird uns mitverkaufen.

Gleichzeitig durch einen Blitzeinschlag eine weitere dramatische Verschlechterung der Internetsituation. Meine Bitten, daß wir uns um eine Verbesserung dieser Lage bemühen sollten, wird keinerlei Beachtung geschenkt. Es verschlechtert sich auch die finanzielle Lage des Beuerhof. Ich bekomme die ersten Streitigkeiten zwischen Seminarorganisatoren und Dieter mit. Dieser legt bei seinen finanziellen Forderungen jeweils dergestalt nach, bis er eine Schmerzgrenze bei seinem Gegenüber erreicht hat. So registriere ich, daß eine Gruppe von Rohköstlern, welche sich selber mit Essen versorgen, der Preis pro Person in Mehrbettzimmern auf deutlich über 50€ pro Nacht ansteigt, selbst im Wohnmobil draußen Parkende werden mit 25 pro Nacht zur Kasse gebeten, alldieweilen das von uns vor kurzem erst gemachte Feuerholz, das ist ja noch gar nicht durchgetrocknet, mit 35 Cent pro Stück in Rechnung gestellt wird.

Inzwischen hat der Dieter mich als Zielsubjekt für seine Angriffe und Beschuldigungen definiert. Ich bin ja schon verhaltensauffällig, da ich ein „freier Mensch“ bin. Das ist ihm neu, daß er mich nicht, wie viele andere vor mir, mit einer Art von psychologischem Sattelzeug zu einem Reittier umdeuten kann und ich ein freier Mensch bleibe, mich nicht von ihm reiten lasse.

Die Kölner Schamaninnen wollen nun auch ihre Strukturierungspläne umsetzen. Doch da ich nicht bezahlt werde, sondern sogar noch zahle, bin ich nicht willens, mich diesen Plänen zu unterwerfen. Meine Sehnsucht nach Russland steigt ins unermessliche. Nun bin ich genau dort gelandet, wovor ich nach Russland geflohen bin. Gutmenschen, die genau wissen, wo es im Leben lang geht. Für Kunst und leise Töne ist hier kein Platz. Im Hintergrund tönt der Dieter: „Der Seminarbetrieb! Der Seminarbetrieb!“ und ich höre den Kommandanten der Festung Breslau im Januar 1945: „Der Endsieg! Der Endsieg!“

Langsam wird mir klar, daß einzig und allein der Seminarbetrieb dem Dieter seine Leasingraten für das Auto und seine Krankenkasse finanziert. Das, meine lieben Freunde in Russland, ist auch etwas, wovon ihr keine Ahnung habt: Du konntest in Deutschland aussuchen, ob Du deine Krankenversicherung, so etwas MUSS jeder haben, bei einer sogenannten Krankenkasse abschließt oder als Privatpatient. Als Privatpatient darfst Du dann in einem Einzelzimmer liegen oder maximal mit einem zweiten Menschen und der Chefarzt des Krankenhauses kümmert sich persönlich um dich, das Essen ist auch viel besser. Jedoch wird mit zunehmenden Alter der Beitrag für einen Privatpatienten immer höher, viel höher als es bei der gesetzlichen Krankenkasse der Fall ist. Und wenn ich im Internet nachsehe, wieviel ein 82jähriger im Monat für seine Privatversicherung zahlt, so sind das fast 2.000.-€. Monat für Monat. Da kann man schon Angst bekommen, diese Summe nicht mehr zahlen zu können und das indigene Bewusstsein verlassen, um es in Geld umzutauschen.

Nachdem ich nach sechs Monaten ohne einen einzigen Tag Pause von früh bis spät dort gearbeitet habe, merkte ich langsam, daß ich erschöpft werde von den Umständen, dem vielen Gerede und den Versuchen von Dieter, mich klein zu machen. Ich wollte eine Pause, eine Reise in mich hinein machen. Deshalb meldete ich an, daß ich demnächst mal für zwei Wochen Schweigen möchte. Das würde heißen, ich arbeite weiter, erfülle die Verpflichtungen, die ich übernommen habe und einzig wäre der Unterschied, daß ich nichts sprechen werde, diese Ankündigung erzeugte ein lautes Geschrei bei den Kölner Schamaninnen und dem Dieter. Das sei unerhört, hier sei Seminarbetrieb, Seminarbetrieb, Seminarbetrieb und es sei vollkommen absurd, hier dürfe man nicht schweigen. Ich verabredete mit dem Dieter ein Vieraugengespräch. Ich sagte ihm, daß die falschen Anschuldigungen, die er gegen mich vorbrächte, nicht ok seinen und ich dagte ihm, daß es mir zutiefst ins Herz sticht, wenn ich in einem sich als spirituell dastellenden Betrieb nicht schweigen dürfe. Es gibt keine Antworten auf meine Reklamationen…Drei Tage später, wieder vor der Versammlung der dort arbeitenden Menschen, grinst mich der Dieter beim Essen an und sagt: „Wenn Du hier schon nicht schweigen DARFST, so kannst Du ja fasten…“ Dieser Spruch hat mich spontan an die französische Kaiserin Marie-Antoinette erinnert, die sagte mal: „wenn das Volk schreit, weil es kein Brot hat, so kann es ja Kuchen essen“. Das war dann der Punkt, der mich die Konsequenzen ziehen liess und ich habe den Beuerhof verlassen. Ich unterstelle, daß das dortige Konstrukt zutiefst menschenverachtend ist, der Geist, welcher den Platz bewacht, wird den Dieter nun grillen dafür, daß er seit dreißig Jahren indigenes Bewusstsein postuliert und den Satz „no pay for pray“ missachtet hat.

Ich würde gerne nach Russland zurück, Doch ich weiß nicht wie. Inzwischen steht die Polizei auf den deutschen Bahnhöfen mit Maschinenpistolen im Anschlag, um die Menschen einzuschüchtern.  Wenn jemand ohne Maske herumläuft, ist er in Gefahr, geschlagen zu werden, mindestens beschimpft wird man. Wer ein Attest von einem Arzt hat, bedeckt sich trotzdem, denn es ist gefährlich. Und der Arzt der ein Attest geschrieben hat, ist auch in Gefahr. Es kommt vor, daß die Polizei die Wohnung stürmt, alle Computer etc beschlagnahmt und riesige Strafen verhängt.

2 Kommentare

Schreibe einen Kommentar zu Sascha Gesang Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner